Allein, zu zweit oder in Gruppen – Wie lernen SchülerInnen am besten?

Die Schule ist ein sozialer Lernort, an dem SchülerInnen Aufgaben häufig gemeinsam mit ihren Sitznachbarn oder anderen KlassenkameradInnen in Partner- oder Gruppenarbeit (engl.: Peer Interaction) lösen. Doch wie sollten diese Partner- oder Gruppenarbeiten gestaltet werden, damit sie das Lernen aller SchülerInnen unterstützen? Dieser Frage widmen sich Tenenbaum und KollegInnen (2020) in ihrer Metaanalyse „How effective is peer interaction in facilitating learning?“. Die AutorInnen untersuchen, ob SchülerInnen, die in Partner- bzw. Gruppenarbeiten arbeiten, mehr lernen, als SchülerInnen, die alleine, gemeinsam mit einer erwachsenen Person oder in einer Wartekontrollbedingung gar nicht arbeiten.

Metaanalyse im Überblick

Fokus der Studie: Lernerfolg bei Partner- und Gruppenarbeiten im Vergleich zu anderen Sozialformen im Unterricht

Zielgruppe: 7103 SchülerInnen im Alter von 4 bis 18 Jahren

Durchschnittliche Effektstärke: Positiver, statistisch signifikanter Vorteil der Partner- und Gruppenarbeiten gegenüber den Vergleichsgruppen (g = 0.40)

Weitere Befunde:

  • Stabiler positiver Gesamteffekt über vers. Lernbereiche und Gruppenzusammensetzungen hinweg;
  • Größerer Effekt wenn Lernende zum Konsens kommen sollen

Einleitung

Gruppen- und Partnerarbeiten gehören für SchülerInnen und Lehrkräfte gleichermaßen zum Schulalltag. Sie sind eine beliebte Sozialform, um den Unterrichtsfluss anzuregen oder verschiedene Lernende miteinander zu vernetzen. Aus konstruktivistischer Sicht bieten Partner- und Gruppenarbeiten die Chance, sich mit fremden Perspektiven auseinanderzusetzen, kognitive Konflikte zu induzieren und dadurch Lernen anzuregen.

Sowohl in der Unterrichtspraxis als auch in der Theorie ist allerdings unklar, welche Konstellationen der Partner- und Gruppenarbeit das Lernen am besten unterstützen. Lernen die SchülerInnen besser zu zweit als zu dritt? Welchen Einfluss hat die Geschlechterkonstellation einer Gruppe auf das Lernen? Sind diese Fragen je nach Inhalt der Gruppenarbeit vielleicht verschieden zu beantworten? Diesen Fragen gehen Tenenbaum und KollegInnen in ihrer Metaanalyse nach.

Worum geht es in dieser Studie?

Die Metaanalyse geht der Frage nach, ob SchülerInnen, die Aufgaben in Partner- oder Gruppenarbeit bearbeiten, erfolgreicher lernen, d. h. zum Beispiel mehr Aufgaben lösen und/oder qualitativ hochwertigere Lösungen erzielen, als SchülerInnen, die die Aufgabe allein, gar nicht oder mit einer erwachsenen Person bearbeiten.

Als Datengrundlage dienen 62 Publikationen, die sich auf 71 verschiedene Stichproben mit insgesamt 7103 SchülerInnen zwischen 4 und 18 Jahren beziehen. Alle berücksichtigten Studien vergleichen den Lernerfolg von SchülerInnen, die an Partner- und Gruppenarbeiten teilnahmen, mit dem Lernerfolg von SchülerInnen aus mindestens einer der drei folgenden Vergleichsbedingungen: 1) die SchülerInnen bearbeiten die Aufgabe allein, 2) die SchülerInnen bearbeiten die Aufgabe gemeinsam mit einer erwachsenen Person oder 3) die SchülerInnen bearbeiten die Aufgabe gar nicht und warten einfach (eine sogenannte Wartekontrollgruppe). Die Aufgaben, die gelöst werden mussten, waren dabei für alle SchülerInnen der jeweiligen Primärstudie gleich – egal ob sie an der Partner- und Gruppenarbeit oder einer der drei Vergleichsbedingungen teilnahmen.

In der Metaanalyse wird außerdem untersucht, ob verschiedene Moderatorvariablen den Lernerfolg während der Partner- und Gruppenarbeit beeinflussen. Diese Variablen werden von den AutorInnen in drei Kategorien eingeteilt: Studiendesign (z. B. Häufigkeit der Partner- und Gruppenarbeit), Gruppenmerkmale (z. B. Geschlechtszusammensetzung) und Lernbereich der Aufgabe (z. B. naturwissenschaftliches Argumentieren).

Einen Überblick über alle untersuchten Moderatorvariablen in diesen drei Kategorien finden Sie in der Übersicht über alle Einzelbefunde.

Was findet diese Studie heraus?

SchülerInnen, die Aufgaben während einer Partner- bzw. Gruppenarbeit lösten, zeigten einen signifikant größeren Lernerfolg (also beispielsweise mehr gelöste Aufgaben) als SchülerInnen in den Vergleichsbedingungen. Dies spiegelt sich in dem positiven und statistisch signifikanten Gesamteffekt von g = 0.40 (Konfidenzintervall g = 0.27 bis g = 0.54) wider. Wenn man die Lernerfolge der SchülerInnen in den drei Vergleichsbedingungen jeweils getrennt mit den Lernerfolgen der SchülerInnen in Partner- bzw. Gruppenarbeiten vergleicht, zeigen sich jedoch signifikante Unterschiede: SchülerInnen, die mit Erwachsenen arbeiteten, erzielten genauso große Lernerfolge wie SchülerInnen, die die Aufgaben in Partner- bzw. Gruppenarbeit lösten. SchülerInnen, die in der Wartekontrollbedingung gar nicht oder alleine arbeiteten, erzielten allerdings geringere Lernerfolge als SchülerInnen, die in Partner- bzw. Gruppenarbeit zusammenarbeiteten.

In der Metaanalyse waren die Lernerfolge außerdem signifikant größer, wenn die Kinder und Jugendlichen angehalten wurden während der Partner- bzw. Gruppenarbeit zu einem Konsens zu kommen (g = 0.61; Konfidenzintervall g = 0.42 bis g = 0.81). Alle anderen Variablen des Studiendesigns (z. B. Häufigkeit der Partner- bzw. Gruppenarbeit) und der Gruppenmerkmale (z. B. Alter, Gruppengröße) sowie der Lernbereich der Aufgabe beeinflussten den positiven Gesamteffekt nicht signifikant. Das heißt für den Lernerfolg der SchülerInnen bei den Partner- und Gruppenarbeiten war es egal, ob die Partner- bzw. Gruppenarbeit

  • nur einmal oder mehr als einmal
  • mit jungen (4-10-jährigen) oder älteren (11-18-jährigen) SchülerInnen
  • in gleichgeschlechtlichen oder gemischtgeschlechtlichen Paarungen bzw. Gruppen
  • mit zwei oder mehr als zwei SchülerInnen
  • im Lernbereich Kreativität, Moral, Argumentieren, räumliches Denken etc.

stattfand.

Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?

Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):

Wie substanziell sind die Effekte?

Insgesamt kommt die Metaanalyse zu einem signifikanten positiven Gesamteffekt von g = 0.40. Die Größe dieses Effekts zeigt an, dass ca. 65% der SchülerInnen, die in Partner- bzw. Gruppenarbeit gearbeitet haben, einen größeren Lernerfolg erzielten als der Durchschnitt der SchülerInnen in den anderen drei Vergleichsbedingungen (Wartekontrollgruppe, Bearbeitung der Aufgabe allein, Bearbeitung der Aufgabe mit einer erwachsenen Person).

Der positive Gesamteffekt von g = 0.40 ist über die untersuchten Gruppenmerkmale und Lernbereiche der Aufgaben hinweg stabil, wird aber von bestimmten Merkmalen des Studiendesigns (Vergleichsbedingung, Instruktion zur Konsensfindung) beeinflusst. Das heißt, obwohl die Einzelstudien zum Teil Effekte aufweisen, die unter oder über dem Gesamteffekt liegen, ist insgesamt davon auszugehen, dass Partner- bzw. Gruppenarbeiten unter vielen Umständen das Lernen fördern können.

Der Gesamteffekt (g = 0.40) fällt im Vergleich mit zwei bestehenden Metaanalysen, bei denen es weniger um spontane Partner- und Gruppenarbeit, sondern um geübtes kooperatives bzw. kollaboratives Lernen geht (siehe Kurzreview 4 zur Wirksamkeit kooperativer Lernformen (g = 0.54) und Kurzreview 15 zur Wirksamkeit von kollaborativem Lernen mit mobilen digitalen Geräten (g = 0.52)) etwas geringer aus. Werden die SchülerInnen jedoch instruiert, während der Partner- bzw. Gruppenarbeit zu einem Konsens zu finden, übersteigt der Effekt von g = 0.61 die Gesamteffekte der beiden vergleichbaren Metaanalysen.

Erfahren Sie mehr über die Einschätzung von Effektstärken in unserem Handout.

Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?

Die Metaanalyse berichtet die Ergebnisse differenziert nach Lernbereichen der Aufgaben und Altersstufen. In der Metaanalyse werden insgesamt neun verschiedene inhaltliche Lernbereiche getrennt analysiert (z. B. naturwissenschaftliches Argumentieren und mathematisches Argumentieren). Außerdem werden die Ergebnisse differenziert für zwei Altersgruppen dargestellt, die Aufteilung entspricht dabei in etwa dem internationalen Primar- und Sekundarstufenbereich.

Innerhalb der verschiedenen Lernbereiche und über die beiden Altersgruppen hinweg finden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede, das heißt, Partner- und Gruppenarbeiten wirken in dieser Metaanalyse über verschiedene Lernbereiche und Altersstufen hinweg ähnlich positiv. Einschränkend ist festzuhalten, dass in der Metaanalyse keine Differenzierung bezüglich der verschiedenen Erhebungsmethoden des Lernerfolgs durchgeführt wird.

Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?

In der vorliegenden Metaanalyse wurden verschiedene Moderatoranalysen durchgeführt, um die Generalisierbarkeit über verschiedene Studiendesigns (z. B. Art der Vergleichsgruppe, Häufigkeit der Messung), Gruppenmerkmale (z. B. Alter, Geschlecht) und Lernbereiche hinweg zu testen. Der vorteilhafte Effekt der Partner- bzw. Gruppenarbeit ist über alle untersuchten Gruppenmerkmale (Alter, Gruppengröße, Geschlechtszusammensetzung) und Lernbereiche hinweg robust. Es ist einschränkend festzustellen, dass bei den verschiedenen Lernbereichen der Aufgaben teilweise nur sehr wenige Studien eingeflossen sind (z.B. nur zwei Studien im Lernbereich Kreativität). Außerdem enthält die Metaanalyse keinerlei Informationen zu den geografischen Regionen der Studien, was die direkte Übertragbarkeit auf den MINT-Unterricht an deutschen Schulen erschwert.

Auch wenn der positive Gesamteffekt über bestimmte Variablen des Studiendesigns (Häufigkeit und Zeitpunkt der Messung sowie Häufigkeit der Partner- bzw. Gruppenarbeit) hinweg generalisierbar ist, wird er von zwei anderen Variablen des Studiendesigns, nämlich der Art der Vergleichsgruppe sowie der Instruktion zur Konsensfindung, signifikant beeinflusst.

Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?

Die Metaanalyse berücksichtigt zentrale Punkte aus konstruktivistischen Lerntheorien nach Jean Piaget und Lew Wygotsky: Kinder und Jugendliche profitieren in ihrer Entwicklung vom aktiven (sprachlichen) Austausch mit mind. einer anderen Person. Während Piaget annimmt, dass SchülerInnen bei der Zusammenarbeit mit Erwachsenen weniger lernen als bei der Zusammenarbeit mit Gleichaltrigen, geht Wygotsky davon aus, dass SchülerInnen sehr wohl von der Zusammenarbeit mit Erwachsenen profitieren können.

Die AutorInnen der Metaanalyse tragen diesen Überlegungen durch die Bildung ihrer Vergleichsgruppen Rechnung. So untersuchen sie den ersten Punkt, indem sie analysieren, ob SchülerInnen im aktiven (sprachlichen) Austausch mit Gleichaltrigen (Partner- bzw. Gruppenarbeit) mehr bzw. erfolgreicher lernen als SchülerInnen, die Aufgaben alleine bearbeiten (Vergleichsgruppe). Den zweiten Punkt, in dem sich Piaget und Wygotsky allerdings unterscheiden, untersuchen sie, indem sie den Lernerfolg von SchülerInnen, die Aufgaben mit Gleichaltrigen (Partner- bzw. Gruppenarbeit) bearbeiten, mit dem Lernerfolg von SchülerInnen, die Aufgaben gemeinsam mit Erwachsenen lösen, vergleichen.

Weitere wissenschaftliche Relevanz erlangt die Metaanalyse dadurch, dass sie bestehende Forschungsdesiderate aufzeigt: Es ist bislang wenig darüber bekannt, wie und ob soziale Rollen oder kognitive Voraussetzungen (z. B. Vorwissen) der SchülerInnen bei Partner- und Gruppenarbeiten zusammenwirken und den Lernerfolg beeinflussen können. Des Weiteren ist unklar, ob die konkrete Dauer der Gruppenarbeit den Lernerfolg beeinflusst.

Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?

Die Offenlegung und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht überwiegend den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Die Schritte bei der Auswahl der Primärstudien und der Analyse der Befunde sind weitgehend transparent. Im Bereich der Kodierung der Primärstudien wären allerdings genauere Angaben zur Messung des Lernerfolgs, zur Kodierung der jeweiligen Studienqualität sowie zum Herkunftsland der Studie wünschenswert gewesen. Weitere Informationen zur methodischen Beurteilung finden Sie in unserem Rating Sheet.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Partner- und Gruppenarbeiten können im Unterricht schnell und variabel eingesetzt werden. Die Befunde der vorliegenden Metaanalyse können als Hinweis dafür angesehen werden, dass Partner- und Gruppenarbeiten das Lernen von SchülerInnen zwischen 4 und 18 Jahren fördern können. SchülerInnen können von der Partner- und Gruppenarbeit unabhängig von der Geschlechterzusammensetzung und der Gruppengröße profitieren. Die AutorInnen der Metaanalyse verweisen allerdings auf Forschungsergebnisse der Sozialpsychologie, wonach sowohl bei älteren SchülerInnen als auch ab einer Gruppengröße von sechs Personen das Phänomen des „sozialen Faulenzens“ wesentlich häufiger auftritt.

Um den gegenseitigen Austausch und die Perspektivübernahme, vor allem bei kontroversen Themen, weiter anzuregen, bietet es sich an, die SchülerInnen zur Konsensfindung aufzufordern. Insgesamt liefert die Metaanalyse Indizien dafür, dass die Lerneffekte beim gemeinschaftlichen Lernen scheinbar größer sind als beim Lernen allein.

Trotz dieser praktischen Erkenntnisse weisen die Ergebnisse der Metaanalyse aber auch daraufhin, dass für zuverlässige evidenzbasierte Aussagen zu spezifischen Gestaltungsmöglichkeiten (z. B. Dauer der Gruppenarbeit, Zusammensetzung der Gruppen nach Vorwissen) noch weitere Forschungsbemühungen notwendig sind.

Studienbeispiel

Schwarz und Linchevski (2007) untersuchten in ihrer Studie, ob Partnerarbeit im Vergleich zu einer Wartekontrollgruppe zu Verbesserungen beim mathematischen Argumentieren von Zehntklässlern führt. Dafür absolvierten 60 ZehntklässlerInnen aus Israel einen Prä- und Posttest mit Aufgaben zum mathematischen Argumentieren. Zwischen dem Prä- und Posttest lagen drei Wochen.

Nach dem Prätest wurden die SchülerInnen in eine Experimentalgruppe und eine Wartekontrollgruppe aufgeteilt. Die 32 SchülerInnen der Experimentalgruppe bearbeiteten in 16 randomisierten Paaren gemeinsam 3 der 9 Aufgaben aus dem Prätest, die dann nicht im Posttest vorkamen. Zentraler Punkt der Partnerarbeit war, dass die SchülerInnen sich gegenseitig ihre Lösungswege erklärten. Die 28 SchülerInnen der Kontrollgruppe warteten und bearbeiteten zwischen Prä- und Posttest keine weiteren Aufgaben.

Während die Zehntklässler, die zwischen Prä- und Posttest an der Partnerarbeit teilgenommen hatten, im Posttest einen signifikanten Zuwachs in der Anzahl und Qualität der Lösungen der Aufgaben aufwiesen, fand sich bei den Zehntklässlern, die nur Prä- und Posttest ohne Partnerarbeit absolviert hatten, kein signifikanter Zuwachs.

Ein Beispiel für die in der Studie bearbeiteten Aufgaben zum mathematischen Argumentieren:

Den SchülerInnen werden zwei Paare von Blöcken gezeigt (A, B und C, D); alle Würfel in den Blöcken A und C wiegen gleich viel, alle Würfel in B und D wiegen gleich viel. Bei allen Aufgaben bleibt die Anzahl der Würfel von Block A und Block C gleich, die Anzahl der Würfel von Block B und D variiert allerdings. Am Anfang jeder Aufgabe werden die SchülerInnen über das relative Gewicht der Blöcke A und B informiert, z. B. Block A ist schwerer als Block B. Danach sollen sie jeweils das relative Gewicht der Blöcke C und D ableiten.

Eine Beispielaufgabe

Block A besteht aus 27 Würfeln, Block C aus 30 Würfeln. Block B besteht aus 26, Block D aus 30 Würfeln. Block A und B sind gleich schwer. Ist der Block C leichter als Block D? Begründe.

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