Kooperatives Lernen im Klassenzimmer – Neue Befunde belegen die Wirksamkeit kooperativer Lernformen

Aktualisiert (28.5.18): Es liegen viele empirische Belege vor, dass Kooperatives Lernen zu besseren Lernleistungen führt. Die aktuelle Metaanalyse „A meta-analysis of the effects of face-to-face cooperative learning. Do recent studies falsify or verify earlier findings?“ von Kyndt und Kollegen (2013) fasst auf Grundlage neuer Befunde zusammen, welche Effekte das Kooperative Lernen im Unterricht hat. Bedeutsam ist für die AutorInnen aber auch, wie sich das Kooperative Lernen auf die Einstellung der Lernenden zu dieser Art des Lernens auswirkt und wie sich die Befunde innerhalb der Schulfächer, Altersgruppen und der verschiedenen kulturellen Kontexte unterscheiden.

Metaanalyse im Überblick

Fokus der Studie: Effektivität von Kooperativem Lernen im Vergleich zu regulärem Unterricht bezogen auf die Leistung und Einstellung zu Kooperativem Lernen

Zielgruppe: Lernende der Primar- und Sekundarstufe sowie Studierende

Durchschnittliche Effektstärke: Positiver Effekt von Kooperativem Lernen auf Leistung (ES = 0.54) und Einstellungen (ES = 0.15)

Weitere Befunde: Förderung am effektivsten bei Kombination von anwendungsnaher Instruktion, dialogbasiertem Lernen und Mentoring (g = 0.57; mittlerer Effekt)

Einleitung

Bisherige Forschungsbefunde zeigen, dass SchülerInnen höhere Lernerfolge erzielen können, wenn sie gemeinsam lernen. Beim Kooperativen Lernen arbeiten SchülerInnen in kleinen Gruppen zusammen an einer vorstrukturierten Lernaufgabe. Empirische Untersuchungen konnten immer wieder belegen, dass die Effektivität von Kooperativem Lernen unter anderem von der individuellen Verantwortung, die einzelne Lernende für die Bearbeitung der Aufgabe übernehmen, sowie von einem klar definierten gemeinsamen Gruppenziel abhängen.

Die Mehrheit der bisher vorliegenden Primärstudien wurde allerdings in Laborsettings vor 1995 und mit Erwachsenen durchgeführt. Die Metaanalyse von Kyndt und Kollegen fasst dagegen die neuesten Forschungsbefunde zu Studien im Unterricht in verschiedenen Altersstufen zusammen. Sie untersucht neben dem Effekt von Kooperativem Lernen auf die Leistungen der Lernenden auch, wie sich die Einstellungen von Lernenden gegenüber dieser Art des Lernens verändern. Positivere Einstellungen – so die Annahme – wirken sich auch günstig auf das Lernen in zukünftigen kooperativen Lerngelegenheiten aus. Die AutorInnen untersuchen weiter, inwiefern sich die Befunde für die Leistung je nach Schulfach, Altersgruppe und kulturellem Kontext unterscheiden.

Worum geht es in dieser Studie?

Die Metaanalyse fasst die Effektivität von Kooperativem Lernen im Vergleich (Interventionsgruppe vs. Kontrollgruppe) zu regulärem Unterricht in Bezug auf die Leistung und auf die Einstellung der Lernenden zum Kooperativen Lernen zusammen. Unter Leistung werden in der Metaanalyse das Wissen und die Fähigkeiten verstanden, die ein Lernender erwirbt. Die Einstellung der SchülerInnen bezieht sich auf ihre Haltung, auch künftig kooperativ lernen zu wollen.

Zudem untersuchen die AutorInnen, inwiefern sich vier sogenannte Moderatorvariablen auf die Leistung der Lernenden auswirken (siehe Tabelle 1). Insgesamt wurden 59 Primärstudien mit quasi-experimentellem Design in die Analyse miteinbezogen.

Tabelle 1. Untersuchte Moderatorvariablen und deren Erklärung.

MODERATORVARIABLENERKLÄRUNG
Art der BelohnungBelohnung für die ganze Gruppe oder individuelle Belohnung nach abgeschlossener Zusammenarbeit
SchulfächerNaturwissenschaften/Mathematik oder Sozialwissenschaften/Sprachen
AltersgruppenSchülerInnen aus der Primarstufe (6-12 Jahre), Sekundarstufe (12-18 Jahre) oder Studierende (>18 Jahre)
Kultureller KontextWestliche oder nicht-westliche Kulturen

Was findet diese Studie heraus?

Die Metaanalyse zeigt, dass sich Kooperatives Lernen im Vergleich zu regulärem Unterricht positiv auf die Leistung (ES = 0.54, mittelgroßer Effekt) und die Einstellung der Lernenden auswirkt (ES = 0.15). Die Moderatoranalysen zeigen, dass das Schulfach, die Altersgruppe und der kulturelle Kontext eine Rolle für die Effekte auf die Leistung spielen.

  • Kooperatives Lernen hat in Naturwissenschaften und Mathematik (23 Studien) einen stärker positiven Einfluss auf die Leistung als in den Sozialwissenschaften und Sprachen (18 Studien; Unterschied zwischen den Schulfächern: g = 0.32).
  • In der Sekundarstufe (12 Studien) ist Kooperatives Lernen für SchülerInnen mit Blick auf die Leistung etwas weniger effektiv als bei SchülerInnen der Primarstufe (11 Studien; Unterschied: g = -0.20) und bei Studierenden (22 Studien; Unterschied: g = -0.18).
  • Zudem zeigen die Befunde, dass Kooperatives Lernen in westlichen Kulturen (19 Studien) für die Leistung weniger effektiv ist als in nicht-westlichen Kulturen (23 Studien; Unterschied: g = -0.38). Die unterschiedlichen Arten der Belohnung nach Abschluss der Zusammenarbeit der SchülerInnen wirkte sich nicht auf die Leistung aus.

Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?

Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):

Wie substanziell sind die Effekte?

Die gefundenen durchschnittlichen Effektstärken liegen nach der Einteilung nach Cohen (1988) über alle Primärstudien hinweg im kleinen bis mittleren Bereich. Insgesamt wird beim Kooperativen Lernen mehr gelernt als im regulären Unterricht (ES = 0.54). Dieser Effekt bedeutet, dass ca. 71 % der kooperativ lernenden SchülerInnen höhere Leistungen erreichen als der Durchschnitt der Kontrollgruppe. Der Effekt von Kooperativem Lernen auf die Einstellung zu dieser Art des Lernens liegt mit ES = 0.15 unter der Schwelle zum kleinen Effekt (= 0.2).  

Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?

Die Differenziertheit der berichteten Effekte wird von der Clearing House Unterricht Research Group anhand der untersuchten Schulfächer, Jahrgangsstufen und abhängigen Variablen eingeschätzt. So zeigt sich beispielsweise, dass der Effekt von Kooperativem Lernen hinsichtlich der Leistung in den Naturwissenschaften und Mathematik deutlich stärker ist als in Sozialwissenschaften und Sprachen. Zudem ist nicht nur die Leistung, sondern auch die Einstellung der SchülerInnen zum Kooperativen Lernen Untersuchungsgegenstand der Metaanalyse.

Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?

Die AutorInnen prüfen mithilfe von Moderatoranalysen, inwiefern die Befunde verallgemeinerbar sind. Die jeweiligen Effektstärken unterscheiden sich systematisch für Altersgruppen, Fächer und verschiedene kulturelle Kontexte. Daraus folgt, dass diese Effekte der Metaanalyse von ihren jeweiligen Bedingungen beeinflusst und deshalb nicht im Sinne eines einheitlichen Gesamteffektes generalisierbar sind.

Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?

Die vorliegende Metaanalyse untersucht im Gegensatz zu früheren Metaanalysen nur Befunde aus Primärstudien, die im Unterricht durchgeführt wurden und nicht computergestützt waren. Sie lassen sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den tatsächlichen Klassenunterricht übertragen. Innovativ an der Metaanalyse ist zudem die Untersuchung des zusätzlichen Einflusses unterschiedlicher kultureller Kontexte auf die Effekte des Kooperativen Lernens.

Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?

Die Offenlegung und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht teilweise den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Die Schritte bei der Recherche, der Auswahl und der Kodierung der Primärstudien sind weitgehend transparent. Allerdings fehlen zum Teil relevante Informationen, um die einzelnen Schritte bei der Erstellung der Metaanalyse nachvollziehen zu können. So sind im Bereich der statistischen Analyse Schritte und Entscheidungen nicht durchgehend transparent und nachvollziehbar beschrieben.

Weitere Informationen zur methodischen Beurteilung finden Sie in unserem Rating Sheet.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Die Metaanalyse bezieht sich auf Primärstudien, die im Unterricht durchgeführt wurden und lässt damit Rückschlüsse auf effektive Unterrichtspraxis zu. Die Befunde zeigen, dass sich Kooperatives Lernen generell positiv auf die Leistungen sowie die Einstellung der SchülerInnen zu künftigen kooperativen Lerngelegenheiten auswirkt. Kooperatives Lernen ist besonders in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern förderlich für die Leistung. Daraus lässt sich ableiten, dass Lehrpersonen diese Lernform, zum Beispiel in Form von strukturierten Kleingruppenarbeiten, vor allem in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern einsetzen können, um Lernerfolge effektiv zu steigern.

Zudem scheinen SchülerInnen bis zu zwölf Jahren sowie Studierende von Kooperativem Lernen in Hinblick auf die Leistung am meisten zu profitieren. Daher eignen sie sich gut für den Unterricht bei jüngeren SchülerInnen bis zu 12 Jahren (d.h. bis zur sechsten Klasse). Lehrkräften kann empfohlen werden, vermehrt Kooperatives Lernen bei dieser Altersgruppe anzuwenden. Die Studie von Krol und Kollegen (2004; vgl. Studienbeispiel) veranschaulicht die positiven Effekte des Kooperativen Lernens in der sechsten Klasse auf den Lernerfolg in Sprachen und Mathematik.

Studienbeispiel

Kooperatives Lernen kann zu tieferem Verständnis der Lerninhalte führen, was sich wiederum positiv auf die Qualität ihrer Antworten (Elaborationen) im Unterricht auswirkt. Krol und Kollegen (2004) untersuchen in ihrer Interventionsstudie die Wirksamkeit von Kooperativem Lernen auf den Lernerfolg (Elaborationen) sowie die Anzahl an Schüleräußerungen in den Fächern Mathematik und in Sprachen bei SchülerInnen der sechsten Klasse.

Zu diesem Zweck wurden Lehrkräfte zuvor in einer Intervention, die aus zehn Workshop-Sitzungen bestand, zum Thema Förderung von Kooperativem Lernen bei SchülerInnen fortgebildet. Die SchülerInnen wurden in Zweiergruppen, bestehend aus einer leistungsschwächeren und einer leistungsstärkeren Person sowie mit gemischten Geschlechtern, eingeteilt. Unter Anleitung der Lehrkraft arbeiteten die Zweiergruppen entweder kooperativ (Interventionsgruppe) oder nicht-kooperativ (Kontrollgruppe). Sie beschäftigten sich 30 Minuten lang mit einer Aufgabe zum logischen Argumentieren in Mathematik oder im Bereich Leseverständnis.

Lernende in der Interventionsgruppe zeigten signifikant höhere Elaborationen in der Sprachaufgabe (d = 0.70, mittelgroßer Effekt) und auch mehr affektive (z.B. positive oder negative emotionale Reaktionen im Unterricht) und selbstregulative Schüleräußerungen (z.B. beim Planen einer Aufgabe) in Mathematik (d = 0.66; d = 0.39; mittelgroße, aber nicht signifikante Effekte) als Lernende in der Kontrollgruppe.

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