Spielen und Lernen: Für viele Menschen wirken diese Begriffe gegensätzlich. Doch passen sie vielleicht besser zusammen, als auf den ersten Blick vermutet? Mit ihrer Metaanalyse „Does gamification improve student learning outcome? Evidence from a meta-analysis and synthesis of qualitative data in educational contexts“ wollen Bai, Hew und Huang (2020) Orientierung in dieser Debatte bieten. Während frühere Metanalysen vor allem Game-based Learning (siehe Kurzreview 2) und Serious Games (siehe Kurzreview 3) in den Blick nahmen, untersucht diese Metaanalyse, inwiefern der Einsatz von digitalen Spielelementen im Rahmen von Gamification (z. B. Badges, Wettbewerbe oder Rankings) im Unterricht zum Lernerfolg beitragen kann.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Wirksamkeit von Gamification für die Lernleistung von SchülerInnen und Studierenden.
Zielgruppe: 3.202 SchülerInnen (Primar- und Sekundarstufe) und Studierende.
Effektstärke: Signifikanter positiver Effekt (g = 0.50) auf die Leistung.
Weitere Befunde: Signifikante Unterschiede der Wirksamkeit hinsichtlich der Probandenzahl, der Dauer der Intervention und der geographischen Region der SchülerInnen.
Einleitung
Die Diskussion, ob und unter welchen Bedingungen spielbasierte Anwendungen im Allgemeinen für den Einsatz im Unterricht geeignet sind, ist nicht neu und es existieren bereits einige Metaanalysen hierzu (siehe zum Beispiel Kurzreview 2 über Unterstützungsmaßnahmen beim Game-based Learning und Kurzreview 3 über kognitive und motivationale Effekte von Serious Games). Bai und KollegInnen (2020) fokussieren in ihrer Metaanalyse im Speziellen auf die Wirksamkeit von digitalen Spielelementen im Rahmen von Gamification. Hiermit meinen die AutorInnen den Einsatz von digitalen Spielelementen in nicht-spielerischen Kontexten (z. B. im Unterricht), um so SchülerInnen zum Lernen zu motivieren.
Die AutorInnen grenzen den Begriff der Gamification klar von Serious Games ab. Bei Serious Games handelt es sich um den Einsatz von Spielen, die gezielt entwickelt wurden, um Lerninhalte zu transportieren. In ihrer Metaanalyse zu Gamification konzentrieren sich Bai und KollegInnen auf digitale Spielelemente, die den Lernenden dabei helfen, ihren Lernprozess spielerisch zu beobachten und zu evaluieren. Darunter fallen beispielsweise Badges (i. S. v. Abzeichen für Lernerfolge), Wettbewerbsysteme, Rankings (i. S. v. Rangfolgelisten), Punkte und Lernfortschrittsanzeigen. Die bisherige Forschung zu Gamification kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen: Mal werden positive, mal negative und teilweise auch gar keine Effekte berichtet. Bai und KollegInnen untersuchen nun anhand von ausgewählten Einzelstudien systematisch, ob Lernumgebungen mit digitalen Spielelementen im Vergleich zu Lernumgebungen ohne diese Elemente, einen positiven Effekt auf die Lernleistung der SchülerInnen haben.
Worum geht es in dieser Studie?
Bai und KollegInnen beleuchten in ihrer Metaanalyse die Frage, ob der Einsatz digitaler Spielelemente im Rahmen von Gamification einen Effekt auf die Leistung der SchülerInnen hat und unter welchen Bedingungen der Einsatz besonders lernförderlich ist. Die AutorInnen berücksichtigen hierbei 24 Einzelstudien, in denen die Wirkung von insgesamt 30 unabhängigen Interventionen untersucht werden. Insgesamt gehen die Studien auf die Werte von 3.202 SchülerInnen der Primar- und Sekundarstufe sowie Studierende zurück. Alle Studien wurden im Zeitraum von 2010 bis 2018 veröffentlicht und haben (quasi)experimentelle Designs.
Das heißt, sie beinhalten den empirischen Vergleich einer Experimentalgruppe, die mit digitalen Spielelementen im Rahmen von Gamification lernt, und einer Kontrollgruppe, die in einer Lernumgebung ohne solche digitalen Spielelemente lernt. Im Rahmen von Moderatoranalysen untersuchen die AutorInnen zusätzlich, inwiefern die Wirksamkeit von Gamification von unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Untersuchungsmerkmalen abhängt. Dafür berücksichtigen sie vier Kategorien an Moderatoren: Typ und die Anzahl der eingesetzten Spielelemente, Art der Kontrollbedingung, Merkmale des Kurses (z. B. Schul-/Studienfach, Anzahl der ProbandInnen oder Dauer des Einsatzes) und Merkmale der ProbandInnen (z. B. Alter und geographische Region).
Was findet diese Studie heraus?
Die Metaanalyse zeigt über alle Studien hinweg einen signifikanten Gesamteffekt von Hedges’ g = 0.50 (Konfidenzintervall g = 0.28 bis g = 0.72) zugunsten der Lernumgebungen mit digitalen Spielelementen im Vergleich zu Lernangeboten ohne solche Elemente. Die meisten untersuchten Moderatoren zeigen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit von digitalen Gamification-Elementen in unterschiedlichen Untergruppen.
Signifikante Unterschiede in der Wirksamkeit zeigen sich lediglich bei der Anzahl an ProbandInnen, der Dauer der Intervention und der geographischen Region, aus der die Lernenden stammen. Hinsichtlich der Anzahl der Lernenden zeigt sich, dass der Einsatz von digitalen Spielelementen bei größeren Gruppen von 50 bis 100 Personen am wirkungsvollsten zu sein scheint. Zudem bekunden die Ergebnisse der Analyse bzgl. der Dauer des Einsatzes der digitalen Spielelemente den größten Effekt bei einem bis drei Monate. Mit Blick auf die geographische Region der Lernenden finden sich die größten Effekte in West- und Ostasien. Eine genaue Auflistung der untersuchen Moderatoren und der Ergebnisse der Moderatoranalysen finden Sie in der Gesamtübersicht.
Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Die durchschnittliche Effektstärke liegt in dieser Metaanalyse bei Hedge’s g = 0.50. Ein Effekt dieser Stärke bedeutet, dass circa 70 % der Lernenden, die mit digitalen Spielelementen lernten, eine höhere Lernleistung erbrachten als der Durchschnitt der Lernenden, die ohne solche digitalen Elemente lernten. Dieser Gesamteffekt ist etwas höher als in vorausgehenden Metaanalysen zum spielbasierten Lernen: Wouters und Kollegen (2013) berichten einen Gesamteffekt digitaler Spiele (Serious Games) auf den Lernerfolg von Cohen’s d = 0.29 (siehe Kurzreview 3).
Die Ergebnisse der Moderatoranalysen weisen darauf hin, dass die Wirksamkeit von Gamification durch die Gruppengröße (z. B. bei Gruppen von 50 Lernenden) und die Dauer der Intervention (z. B. über mehrere Tage/Wochen) potentiell vergrößert werden kann. Zur Substanz der Befunde trägt zudem bei, dass Einzelstudien mit selbstberichteten bzw. subjektiven Lernerfolgsmaßen aus den Analysen ausgeschlossen wurden. Weitere Informationen zur Einschätzung von Effektstärken finden Sie in unserem Handout zu Effektstärken.
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Differenziertheit der berichteten Effekte wird anhand der untersuchten Schulfächer und Altersgruppen eingeschätzt. Die Metaanalyse liefert differenzierte Werte zu unterschiedlichen Fachbereichen (z. B. Computer und Informatik, Mathematik, Naturwissenschaften, Sprache, Kunst) und unterschiedlichen Altersgruppen (Primarstufe, Sekundarstufe, Bachelorstudium, Masterstudium). Beide untersuchten Moderatoren (Fach und Alter) liefern jedoch keine Hinweise auf signifikante Unterschiede zwischen den Ausprägungsformen. Das untersuchte Leistungskriterium Lernleistung wird nicht weiter differenziert betrachtet.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
Grundsätzlich zeigen sich positive Effekte von digitalen Spielelementen im Rahmen von Gamification über die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen hinweg. Die AutorInnen fanden keine signifikanten Unterschiede in der Effektivität von Gamification zwischen der Art oder der Anzahl von Spielelementen, der Schulart der SchülerInnen oder dem Unterrichtsfach. Dies deutet darauf hin, dass die Wirksamkeit des Einsatzes digitaler Spielelemente gut verallgemeinerbar ist. Die Moderatoranalysen zeigen jedoch, dass die Anzahl der ProbandInnen die Dauer der Intervention und die geographische Region, in der die Studie durchgeführt wurde, zu signifikanten Unterschieden führen. In diesen Fällen sind die spezifischen Effektstärken aussagekräftiger als der Gesamteffekt.
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Die vorliegende Metaanalyse ist aufgrund folgender Argumente wissenschaftlich bedeutsam: Zum einen liefert sie neue Befunde zum spielbasierten Lernen mit einem Fokus auf die Wirksamkeit von Gamification. Zum anderen zeichnet sich die Metaanalyse durch die Auswahl unterschiedlicher Moderatoren aus. Neben methodischen Moderatoren (z. B. Kontrollbedingungen) wurden auch Merkmale der Lernenden und des Kurses berücksichtigt. So zeigt sich nicht nur, dass digitale Spielelemente lernförderlich sein können, sondern auch, unter welchen Bedingungen sie besonders wirksam sind.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Darstellung des methodischen Vorgehens entsprechen nur teilweise den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z. B. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Über die Recherche und statistischen Analysen wird überwiegend transparent und nachvollziehbar berichtet. Allerdings fehlen detaillierte Aussagen zur Auswahl und Kodierung der Einzelstudien (z. B. Stichprobengrößen, Kontrollgruppen). Detaillierte Informationen zur Beurteilung des methodischen Vorgehens finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Spielen und Lernen – diese Begriffe passen zusammen! Die Metaanalyse zeigt: Der Einsatz digitaler Spielelemente, kurz Gamification, lohnt sich auch im Klassenzimmer. Der positive Gesamteffekt deutet darauf hin, dass die Lernleistung der SchülerInnen durch Gamification gefördert werden kann. Dieses Ergebnis zeigt sich stabil über Schularten, Unterrichtsfächer und Altersgruppen hinweg. Auch die Art und Anzahl der eingesetzten Spiele scheint den Effekt digitaler Spielelemente nicht signifikant zu beeinflussen. Der konkrete Unterrichtskontext, in dem Gamification eingesetzt wird, zeigt sich damit in der Metaanalyse als weniger entscheidend.
Auch wenn sich aus der Metaanalyse keine Handlungsempfehlungen für konkrete Unterrichtssituationen ableiten lassen, so geben die Ergebnisse wichtige Hinweise darauf, dass Gamification grundsätzlich lernförderlich sein kann. Ob sich die gefundenen Effekte auch außerhalb des asiatischen Kulturkreis zeigen, müssen weitere Studien klären. Diese Metaanalyse ermutigt Lehrkräfte, Gamification auszuprobieren und sie in Rücksprache mit den SchülerInnen bedarfsgerecht einzusetzen. Für einen Einstieg in diesen Prozess gibt die Metaanalyse erste Impulse.
Studienbeispiel
Turan, Avinc, Kara und Goktas (2016) untersuchen in ihrer Studie den Effekt von digitalen Spielelementen im Rahmen von Gamification auf die kognitive Belastung und Leistung von SchülerInnen in einem Informatik- und Softwarekurs. An der Studie nahmen insgesamt 94 SchülerInnen der 6. Jahrgangsstufe an zwei Schulen in der Türkei teil, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden – eine Experimental- und eine Kontrollgruppe. Die Experimentalgruppe umfasste 46 SchülerInnen, die für bestimmte Aufgaben und Verhaltensweisen während des Unterrichts Punkte erhielten, die wiederrum auf einem digitalen Board vermerkt wurden. Zusätzlich bearbeiteten die SchülerInnen der Experimentalgruppe kleine fachbezogene Quizzes (auf der Quiz-Plattform Kahoot). Dadurch erhielten die SchülerInnen stets unmittelbar Rückmeldung zu ihrem derzeitigen Lernstand.
Die Intervention erfolgte über sechs Wochen für zwei Stunden pro Woche. Die 48 SchülerInnen der Kontrollgruppe wurden zum gleichen Inhalt regulär ohne den Einsatz digitaler Spielelemente unterrichtet. Um die Effektivität von Gamification zu untersuchen, erhoben die AutorInnen nach jeder Woche bei allen SchülerInnen die kognitive Belastung und zum Abschluss der Intervention die erbrachte Lernleistung mit Fragbögen und Tests. Die SchülerInnen der Experimentalgruppe zeigten nach der Intervention zwar eine höhere kognitive Belastung (gemittelt über die sechs Wochen der Studie), allerdings auch signifikant höhere Leistungen als die SchülerInnen der Kontrollgruppe.