Digitale Tools im Unterricht: Welche Typen gibt es und wie kommen sie effektiv zum Einsatz?

Die Entwicklung digitaler Tools zur Lernunterstützung schreitet rasant voran und damit das Bedürfnis von PädagogInnen nach Orientierung in einem unübersichtlichen Feld. Welche der aktuell verfügbaren Typen von digitalen Tools haben aus wissenschaftlicher Sicht das Potenzial, Lernprozesse in der Schule effektiv zu unterstützen und unter welchen Bedingungen kann ihr Potenzial ausgeschöpft werden? Diesen Fragen geht die Metaanalyse von Hillmayr, Ziernwald, Reinhold, Hofer und Reiss (2020), »The potential of digital tools to enhance mathematics and science learning in secondary schools: A context-specific meta-analysis« nach. Sie untersucht sechs verschiedene Typen von digitalen Tools auf ihre Wirksamkeit speziell im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe.

Metaanalyse im Überblick

Fokus der Studie: Wirksamkeit digitaler Tools auf Lernerfolg und Einstellung gegenüber dem Unterrichtsfach (Mathematik & Naturwissenschaften)

Zielgruppe: SchülerInnen der Sekundarstufe

Durchschnittliche Effektstärke: Mittlerer, signifikanter Effekt (g = 0.65) auf die Leistung, kleiner, signifikanter Effekt auf die Einstellung (g = 0.45)

Weitere Befunde: Große Effekte auf die Wirksamkeit bei Schulung von Lehrkräften

Einleitung

Das Schlagwort Digitalisierung in Schule und Unterricht weckt verschiedenste Assoziationen und löst sehr unterschiedliche Reaktionen aus. In ihrer Metaanalyse untersuchen Hillmayr und KollegInnen anhand von empirischen Befunden, wie sich der Einsatz von digitalen Tools im Unterricht einerseits auf den Lernerfolg und andererseits auf die Einstellung der SchülerInnen dem jeweiligen Fach gegenüber auswirkt. Als digitale Tools werden in der vorliegenden Metaanalyse verschiedene computergestützte Programme und Anwendungen bezeichnet, die den Lernprozess in der Schule unterstützen sollen. Die Art der Hardware – Smartphone, Computer oder Tablet – steht dabei nicht im Vordergrund. Die untersuchten Tools bilden das ganze Spektrum von digitalen Anwendungen ab. Die sechs untersuchten Typen werden in Anlehnung an Hillmayr et al. (2017) sowie Nattland & Kerres (2009) im Folgenden kurz beschrieben:

  • Drill-und-Practice-Programme. Hierunter werden klassische Übungsprogramme zur Wiederholung und Üben von Wissen verstanden. Die SchülerInnen erhalten nach jeder Übung Rückmeldung zu ihrer Lösung. Neues Wissen erlernen die SchülerInnen damit allerdings nicht.
  • Digitaler Tutor. Digitale Tutoren sind Programme, die prinzipiell die Funktion einer Lehrperson übernehmen können. Wissen wird in zumeist kleinen Lerneinheiten vermittelt. Zudem bieten die Programme häufig die Möglichkeit zum Üben und Vertiefen des Wissens.
  • Intelligenter digitaler Tutor. Auch intelligente digitale Tutoren dienen der Vermittlung von Wissen und der Möglichkeit zur Übung. Allerdings haben sie zusätzlich eine adaptive Funktion: Je nach Wissensstand der SchülerInnen werden die Inhalte angepasst. Dies geschieht beispielsweise anhand der Schwierigkeit der Aufgaben oder durch zusätzliche Unterstützung.
  • Hypermedia. Im Gegensatz zu Tutoren erledigen die SchülerInnen hier Aufgaben nicht entlang einer vorgegebenen Reihenfolge, sondern können frei explorieren. Durch Querverweise und Links können die SchülerInnen auf verschiedene Ton-, Bild- oder Videodokumente zurückgreifen, damit individuelle Wissenslücken füllen und die Inhalte Selbstreguliertes Lernen erarbeiten, indem sie frei durch die Inhalte navigieren. Beispiele hierfür sind Online-Enzyklopädien.
  • Dynamische mathematische Visualisierungen. Sie erlauben es SchülerInnen, mathematische Zusammenhänge zu explorieren. Hauptmerkmal ist die visuelle Darstellung komplexer mathematischer Zusammenhänge, wie beispielsweise in der Software GeoGebra zur Sinusfunktion
  • Virtual Reality. Diese Art von Anwendung beschreibt Lernumgebungen, in denen eine reale Situation simuliert wird. Die SchülerInnen können hier komplexe Sachverhalte erfassen und nachvollziehen – wie beispielsweise aufwändige naturwissenschaftliche Experimente. Virtual reality-Anwendungen ermöglichen das Experimentieren ohne Beschränkungen durch den Aufwand oder Sicherheitsprobleme, wie sie im Labor zu erwarten wären.

Durch die Vielfalt der untersuchten Tools einerseits und den Fokus auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich der Sekundarstufe andererseits unterscheidet sich die vorliegende Metaanalyse von vorherigen Arbeiten. Die Metaanalyse zu »adaptiver Lernsoftware« von Gerard und KollegInnen (2015; Kurzreview 21) beschränkt sich auf spezifischere Tools; die Metaanalyse zu »digitalen Anwendungen in Mathematik« von Cheung und Slavin (2013; Kurzreview 7) fokussiert sich nur auf die Anwendung in einem Fach.

Worum geht es in dieser Studie?

Zunächst wollen Hillmayr und KollegInnen herausfinden, wie sich der Einsatz von digitalen Tools im Vergleich zu Unterricht ohne diese auf die Leistung und die Einstellung zum jeweiligen Unterrichtsfach auswirkt. Dafür fassen sie 92 Primärstudien mit 92 Effektstärken zur Leistung und 16 zu den Einstellungen zusammen. Die Studien wurden im Zeitraum 2000 bis 2018 in internationalen Zeitschriften mit Begutachtungsverfahren veröffentlicht und beinhalten Daten von knapp 15.000 SchülerInnen. Alle Studien basieren auf einem (quasi-)experimentellen Untersuchungsdesign mit Kontrollgruppe und wurden in den naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern in der Sekundarstufe durchgeführt – mit SchülerInnen ohne besonderen Förderbedarf.

Der Fokus der Untersuchung liegt klar auf Tools, die für den Unterricht entwickelt wurden. Entsprechend werden beispielsweise Computerspiele, die unabhängig von Unterricht funktionieren, von der Untersuchung ausgeschlossen. Zudem untersuchen sie zahlreiche weitere Einflussfaktoren und Kontextbedingungen, die konkrete Hinweise darauf liefern können, unter welchen Bedingungen die Anwendungen besonders effektiv sind. Sie erfassen beispielsweise, wie viele SchülerInnen gleichzeitig mit dem gleichen digitalen Tool arbeiten, ob sie dabei von der Lehrkraft oder MitschülerInnen zusätzliche Unterstützung erhalten, ob das Tool ergänzend zu anderen Methoden im Unterricht oder als Ersatz für bestimmte Elemente des Unterrichts eingesetzt wurde sowie ob die Lehrkräfte für den Einsatz dieser Tools gezielt geschult wurden. Den Einfluss dieser Faktoren auf die Leistung untersuchen sie in sogenannten Moderatoranalysen.

Tabelle 1: Übersicht über die Moderatoren und Moderatorstufen.

MODERATORSTUFEEFFEKTSTÄRKE (g)ANZAHL EFFEKTE
SchulfachMathematik0.55*33
Biologie0.59*22
Chemie0.69*16
Physik0.80*19
AltersstufeKlasse 5-70.6218
Klasse 8-100.61*35
Klasse 11-130.71*27
SchülerInnen pro ToolEin/e SchülerIn0.46*29
Zwei SchülerInnen0.72*14
Mehr als drei SchülerInnen0.46*11
Typen digitaler ToolsDrill- & Practice-Programme0.58*4
Digitaler Tutor0.55*22
Intelligenter digitaler Tutor0.89*7
Hypermedia0.40*10
Dynamische mathematische Visualisierungen1.02*6
Virtual Reality0.63*36
Art des EinsatzesErgänzend zu anderen Methoden0.64*53
Als Ersatz für andere Methoden0.51*29
Lehrkräfteschulung*Ja0.84*27
Nein0.56*65
Zusätzliche UnterstützungsformenDurch die Lehrkraft0.61*28
Durch MitschülerInnen0.63*11
Durch Lehrkraft und MitschülerInnen0.54*22
keine0.375

* markiert einen signifikanten Effekt bzw. Unterschied.

Was findet diese Studie heraus?

Die Ergebnisse der Metaanalyse zeigen, dass SchülerInnen der Sekundarstufe in Naturwissenschaften und Mathematik insgesamt vom Einsatz digitaler Tools profitieren. Der signifikante Gesamteffekt für die Leistungen von SchülerInnen mit Unterricht mit digitalen Tools im Vergleich zu Unterricht ohne digitale Tools ist: g = 0.65. Der Gesamteffekt für die Einstellungen gegenüber dem jeweiligen Fach ist ebenfalls positiv und signifikant: g = 0.45. Die Moderatoranalysen zeigen, dass die gezielte Schulung der Lehrkräfte die Wirksamkeit des Einsatzes digitaler Tools signifikant verbessert (siehe Tabelle 1).

Die weiteren Analysen ergeben keine statistisch belastbaren Unterschiede zwischen den verschiedenen Moderatoren. Auch wenn die Art des Tools kein signifikanter Moderator ist, zeigt sich deskriptiv, dass dynamische mathematische Visualisierungen und (intelligente) digitale Tutoren besonders positive Auswirkungen auf die Leistung haben. Weitere Details und Einzelbefunde sind Tabelle 1 zu entnehmen.

Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?

Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):

Wie substanziell sind die Effekte?

Nach der gängigen Einteilung nach Cohen (1988) zeigt sich ein mittelgroßer signifikanter positiver Effekt auf die Leistung und ein kleiner signifikanter positiver Effekt auf die Einstellung gegenüber dem jeweiligen Fach. Durch Schulung der Lehrkräfte (g = 0.84) oder spezielle Tools können große Effekte erzielt werden; beispielsweise mit dem Einsatz dynamischer mathematischer Visualisierungen (g = 1.02). Ein solcher Effekt bedeutet, dass von drei zufällig ausgewählten SchülerInnen im Durchschnitt mindestens einer vom Einsatz des Tools profitiert. Diese Effekte sind beachtlich, wenn man bedenkt, dass in den Kontrollbedingungen die gleichen Inhalte lediglich ohne digitale Tools gelernt bzw. unterrichtet wurden. Die Effekte in dieser Metaanalyse fallen deutlich höher aus als in den vorherigen Arbeiten (Cheung & Slavin, 2013: d = 0.16 und Gerard et al., 2015: g = 0.34), was zum einen an den unterschiedlichen, auf die jeweilige Frage zugeschnittenen Auswahlkriterien für berücksichtigten Primärstudien liegen dürfte. Zum anderen haben sich die digitalen Tools in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt.

Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?

Die Effektstärken werden gesondert für die Fächer Mathematik, Biologie, Chemie und Physik dargestellt. Zwischen den Fächern zeigt sich jedoch kein signifikanter Unterschied im Hinblick auf die Effektivität der digitalen Tools. Innerhalb der Sekundarstufe unterscheiden die AutorInnen zwischen Jahrgangsstufe fünf bis sieben, acht bis zehn und elf bis dreizehn und berichten die Ergebnisse entsprechend aufgeteilt. Hier ergeben die Analysen, dass die Effekte in den letzten Schuljahren deskriptiv größer werden, ohne dass sich jedoch signifikante Unterscheide ergeben. Darüber hinaus berichten sie die Ergebnisse für Leistung und Einstellung dem Fach gegenüber in zwei getrennten Analysen. Eine weitere Differenzierung der Leistungskomponente (z.B. Wissen und Kompetenzen) wird nicht vorgenommen.

Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?

Die positiven Effekte der digitalen Tools erweisen sich in den zahlreichen durchgeführten Moderatoranalysen als sehr robust, d.h. von wenigen Moderatoren signifikant beeinflusst. Signifikante Unterschiede für verschiedene Fächer oder Altersstufen konnten nicht ausgemacht werden. Auch die Typen der digitalen Tools und weitere Varianten der Umsetzung der digitalen Unterstützung machen keinen statistisch belastbaren Unterschied. Eine Ausnahme bildet der positive Effekt von Schulungen der Lehrkräfte.
Daher ist davon auszugehen, dass die berichteten Effekte für den Bereich des mathematisch naturwissenschaftlichen Unterrichts in der Sekundarstufe eine belastbare und verallgemeinerbare Schätzung darstellen. Inwiefern die Befunde auf andere Altersstufen (z. B. Primarschulbereich), differenziertere Leistungsindikatoren (z.B. Fachwissenserwerb) oder über kulturelle Kontexte hinweg verallgemeinert werden können, geht aus der Metaanalyse nicht hervor.

Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?

Die vorliegende Metaanalyse weist zum einen durch ihren Fokus auf Mathematik und Naturwissenschaften in der Sekundarstufe einen hohen Spezifizierungsgrad auf und deckt gleichzeitig ein breites Spektrum an digitalen Tools ab. Sie beschränkt sich auf den Einsatz im Unterricht und untersucht neben Effekten auf die Leistung auch Auswirkungen auf die Einstellung dem jeweiligen Fach gegenüber. Dieser besondere Zuschnitt ermöglicht es, sehr konsequent relevante Moderatoren und deren Auswirkungen für genau diesen Anwendungsbereich zu untersuchen. Dadurch kommt der vorliegenden Metaanalyse eine besondere praktische Bedeutung zu. Angesichts der rasanten Entwicklung in diesem Forschungsbereich liefert die vorliegende Metaanalyse einen bedeutsamen Beitrag zur Synthese aktueller Befunde.

Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?

Die Transparenz und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards) in hohem Maße. Insbesondere die Bereiche der Kodierung und Analyse der Befunde sind hervorragend dokumentiert. Detailliertere Informationen zur methodischen Beurteilung sind dem Rating Sheet zu entnehmen.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Diese Metaanalyse zeigt deutlich, dass sich der Einsatz digitaler Tools im Unterricht auszahlt: Die positiven Effekte ihres Einsatzes zeigen sich sowohl mit Blick auf die Leistung als auch hinsichtlich der Einstellung gegenüber den naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern. Die Effekte auf die Leistung sind in verschiedenen Fächern und über verschiedene Altersstufen hinweg robust nachweisbar. Große Effekte sind insbesondere mit Software, die mathematische Zusammenhänge dynamisch visualisieren und simulieren, wie zum Beispiel die Mathematiksoftware GeoGebra, zu erreichen. Gleichzeitig unterstreichen die Ergebnisse, wie bedeutsam die entsprechende Schulung der Lehrkräfte für den erfolgreichen Einsatz digitaler Tools ist. Weitere konkrete Beispiele und Hinweise für die Unterrichtspraxis, die sich aus diesen Erkenntnissen ergeben, finden Sie in der begleitenden Praxisbroschüre zur Metaanalyse: Digitale Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe von Hillmayr et al., 2017 (siehe Zusatzmaterial).

Studienbeispiel

Die Studie von Frailich, Kesner, & Hofstein (2009) zeigt das Potenzial der digitalen Tools in Kombination mit einer gezielten Schulung von Lehrkräften. In dieser Studie sollte SchülerInnen der zehnten Klasse ein besseres Verständnis von Strukturen chemischer Bindungen vermittelt werden. In der Experimentalbedingung wurde eine Website mit strukturierten Materialien – bestehend aus visuellen Modellierungen der chemischen Verbindungen und deren Strukturen – bereitgestellt.

Die Lehrkräfte dieser Gruppe nahmen zunächst an einem Vorbereitungskurs für die Nutzung der Website teil. Die 161 SchülerInnen der Experimentalgruppe bearbeiteten die Website mit vier Lerneinheiten zu unterschiedlichen chemischen Stoffen (Metalle, Ionen-, & Molekularverbindungen) interaktiv in Kleingruppen aus zwei bis drei Personen. Die 93 SchülerInnen der Kontrollgruppe erhielten Unterricht zu den gleichen Inhalten, nur ohne die Ergänzung um die Website. Im abschließenden Wissenstest schnitten die Lernenden der Experimentalgruppe signifikant besser ab als die der Kontrollgruppe (g = 0.76). Die Befunde der Studie lassen darauf schließen, dass die SchülerInnen durch den Einsatz der Website die komplexen Inhalte besser verstehen und lernen konnten.

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