Lernen mit Texten gehört in den MINT-Fächern zum Alltag, doch komplizierte Formulierungen und unklare Strukturen verhindern oft, dass SchülerInnen die Texte vollständig verstehen. Wie können MINT-Texte von Lehrkräften sprachlich so angepasst werden, dass SchülerInnen optimal lernen? Welche sprachlichen Veränderungen sind für wen besonders hilfreich? Diese Fragen beantwortet die Metaanalyse „On the role of linguistic features for comprehension and learning from STEM texts“ von Strohmaier et al. (2023).

Metaanalyse im Überblick

Fokus der Studie: Einfluss sprachlicher Veränderungen bei MINT-Texten auf Lernerfolg

Zielgruppe: 6.477 Lernende von der Primarstufe bis zur Universität

Effektstärke: positiver Effekt (= 0.15)

Weitere Befunde:

  • Signifikant positiver Effekt bei Erhöhung von „Klarheit und Tiefe“ und Personalisierung
  • Vor allem Lernende mit geringem fachlichen Vorwissen profitieren von sprachlichen Veränderungen

Einleitung

Im MINT-Unterricht, vor allem in den Naturwissenschaften, lernen SchülerInnen häufig mit Texten, zum Beispiel in Schulbüchern und auf Arbeitsblättern. Nach van den Broek (2010) sind diese Texte fachsprachlich oft anspruchsvoll und für SchülerInnen nur schwer zu verstehen, auch weil sie im Alltag nur selten mit dieser Art von Fachsprache in Berührung kommen. Für MINT-Lehrkräfte kann es herausfordernd sein, diese Schwierigkeiten zu erkennen und die Texte so anzupassen, dass SchülerInnen optimal damit lernen können.

In der Forschung wurden bereits verschiedene Ansätze untersucht, wie MINT-Texte sprachlich so angepasst werden können, dass sie die Wissensvermittlung erleichtern. Diese Ansätze reichen von Veränderungen auf der lokalen Wortebene – beispielsweise, indem komplizierte Fachbegriffe oder Fremdwörter vermieden werden – bis hin zu Veränderungen auf der globalen Ebene von Sätzen oder des gesamten Textes. Dazu gehören zum Beispiel Zwischenüberschriften und Zusammenfassungen. Allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse in diesem Forschungsfeld teilweise sehr stark je nach Eigenschaften der Lernenden und Art der Texte. Beispielsweise wird in manchen Studien gezeigt, dass leistungsschwächere SchülerInnen stärker von sprachlichen Vereinfachungen profitieren. Es ist für Lehrkräfte daher nur schwer zu schlussfolgern, welche sprachliche Veränderungen von Lerntexten für ihre eigene Klasse wirkungsvoll sein könnten. Die hier zugrundeliegende Metaanalyse untersucht deshalb, welche Veränderungen und Merkmale des Lernkontexts den Lerneffekt über alle Studien hinweg positiv beeinflussen.

Worum geht es in dieser Studie?

Die Metaanalyse von Strohmaier et al. (2023) fasst Studien zusammen, in denen MINT-Texte sprachlich verändert wurden, um zu untersuchen, wie diese Veränderungen den Lernerfolg beeinflussen. Die Autoren berücksichtigten nur experimentelle Studien, bei denen eine Kontrollgruppe mit einem Originaltext und mindestens eine Experimentalgruppe mit einem veränderten Text lernte. Anschließend absolvierten beide Gruppen den gleichen Test, um den Lernerfolg zu erfassen.

Um herauszufinden, welche sprachlichen Veränderungen lernwirksam sind, wurden drei Kategorien von sprachlichen Veränderungen unterschieden und in lokale und globale Elemente unterteilt: 

(1) Verringerung der sprachlichen Komplexität:

  • Lokal: Reduktion der Komplexität auf Wortebene (z.B. Verwenden einfacherer Wörter, Vermeiden von Fachbegriffen)
  • Global: Reduktion der strukturellen Komplexität (z.B. durch kürzere, weniger komplexe Sätze; 

(2) Erhöhung der Kohäsion:

  • Lokal: klarere Verbindungen zwischen Wörtern und Sätzen (z.B. überlappende Substantive statt Pronomen und Synonymen, zusätzliche verbindende Phrasen)
  • Global: Verbesserung der Textkontinuität (z.B. Veränderte Reihenfolge von Inhalten)

(3) Erhöhung von sprachlicher Klarheit und Tiefe:

  • Lokal: Hinzufügen von Wörtern und verbindenden Ausführungen (z.B. durch Wiederholen von Begriffen und Verknüpfen mit Vorwissen)
  • Global: Hinzufügen von inhaltlichen Ausarbeitungen (z.B. Überschriften, Zusammenfassungen, Personalisierung). 

Außerdem untersuchten die Autoren, für welche Lernenden sprachliche Veränderungen besonders wirkungsvoll waren. Dafür wurden unter anderem die Moderatoren VorwissenUnterrichtsfachTextlängeAlter der TeilnehmerInnen und Anforderungsniveau des Tests untersucht.Die Datengrundlage dieser Metaanalyse umfasst 45 Einzelstudien mit insgesamt 6.477 Lernenden von der Grundschule bis zur Hochschule. Die meisten Studien verwendeten Texte aus dem Physik- und Biologieunterricht.

Was findet diese Studie heraus?

Die Metaanalyse ermittelte einen insgesamt signifikanten positiven Effekt von sprachlichen Veränderungen von = 0.15. Bei der Analyse der drei Subkategorien zeigte nur noch die Kategorie Erhöhung von sprachlicher Klarheit und Tiefe einen signifikanten positiven Einfluss auf das Lernen mit MINT-Texten. Auf lokaler Ebene ist es daher besonders effektiv (g = 0.20), Inhalte zu wiederholen und zu erklären (z. B. Schlussfolgerungen zu erläutern, Beziehungen und Handlungen zu verdeutlichen). Auf der globalen Ebene des gesamten Textes führten strukturierte Überschriften und Zusammenfassungen (z. B. Vorschauen, Advance Organizer) zu einem verbesserten Lernergebnis (g = 0.15). Darüber hinaus war die stärkere Personalisierung des Textes durch die Verwendung von Personal- und Possessivpronomen (z. B. „Du siehst“ statt „man sieht“; „dein Garten“ statt „ein Garten“) besonders wirksam (g = 0.52). 

Die weiterführenden Analysen zeigen, dass sprachliche Vereinfachungen tatsächlich vor allem für Lernende mit geringerem fachlichem Vorwissen hilfreich sind (g = 0.35). Dieser Moderationseffekt war so deutlich, dass dagegen für Lernende mit hohem fachlichem Vorwissen durchschnittlich überhaupt kein Effekt mehr zu erkennen war. Längere Texte erzielen dabei größere Effekte (g = 0.17). Das Unterrichtsfach, das Alter der Lernenden und das Anforderungsniveau der Tests beeinflussten die Wirksamkeit sprachlicher Veränderungen nicht; die Ergebnisse bleiben über diese Faktoren hinweg stabil.

Weitere Details und Einzelbefunde sind der Gesamtübersicht zu entnehmen.

Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?

Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):

Wie substanziell sind die Effekte?

In dieser Metaanalyse wird die mittlere Effektstärke von = 0.15 gemäß gängiger Klassifikationen (z. B. Cohen, 1988) als kleiner Effekt angesehen. So würde ein/e SchülerIn, die einen sprachlich vereinfachten MINT-Text erhält, mit einer Wahrscheinlichkeit von 54% bessere Leistungen erzielen als mit dem ursprünglichen Text. Deutlich wird aber auch, dass sich die Effektstärken zwischen den Studien und verschiedenen Personengruppen teilweise sehr stark unterscheiden. Insbesondere war der mittlere Effekt für Personen mit geringem fachlichem Vorwissen mit g = 0.35 substanziell größer, hier lag die Wahrscheinlichkeit, dass ein veränderter Text zu mehr Lernerfolg führt, bei etwa 60%. 

Andere Metaanalysen, die im Kontext von Lernen aus Texten andere, nicht-sprachliche Textmerkmale untersuchen, berichten teilweise deutlich größere Effekte, wie beispielsweise die Bereitstellung von Feedback (g = 0.35; Swart et al., 2019) oder die Einbeziehung von Grafiken (g = 0.39; Guo et al., 2020). Diese Metaanalyse trägt mit dem Fokus auf rein sprachliche Vereinfachungen zum Forschungsfeld bei.

Erfahren Sie mehr über die Einschätzung von Effektstärken in unserem Handout.

Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?

Die Metaanalyse beinhaltet eine umfangreiche Untersuchung von Moderatorvariablen mittels Metaregression und unterscheidet Effekte nach acht verschiedenen Typen von sprachlichen Veränderungen. Darüber hinaus differenziert sie Effekte auf den Lernerfolg für verschiedene Kontexte (z.B. Fachgebiet, Textlänge, Studienort), Studienteilnehmer (z. B. Altersgruppe, Vorwissen) und Studienmethodik (z. B. Erfolgsmessung). Die Ergebnisse zeigen, wie stark die einzelnen Merkmale den Lernerfolg beeinflussen.Die Metaanalyse beschränkt sich auf Texte aus MINT-Fächern: Physik, Biologie, Informatik und andere. Die Autoren berichten Ergebnisse differenziert über verschiedene Altersgruppen hinweg. In den Leistungstexts wurden verschiedene Anforderungsniveaus – ReproduktionAnwendung, und Transfer – unterschieden. Mögliche motivationale Effekte wurden nicht berücksichtigt.

Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?

Obwohl die Auswirkungen des Lernens aus MINT-Texten mit sprachlichen Veränderungen gering sind, lassen sich die Ergebnisse für verschiedene Lernkontexte verallgemeinern. Die Moderatoranalyse ergab keine wesentlichen Unterschiede, was verschiedene Altersgruppen, MINT-Fächer, Lernbewertungen oder Standorte (Labor vs. Feld) betrifft. Im Hinblick auf die Art der Textmodifikation, Textlänge, Vorwissen und ihre Kombination lassen sich die Ergebnisse jedoch nicht verallgemeinern.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Wirksamkeit sprachlicher Veränderungen in MINT-Texten von spezifischen Bedingungen abhängt. Insbesondere für Lernende mit geringem Vorwissen sind sprachliche Veränderungen im Allgemeinen hilfreich, für viele Lernende spielen aber sprachliche Veränderungen keine Rolle. 

Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?

Die vorliegende Metaanalyse ist aufgrund ihres klärenden und methodischen Beitrags für das Feld bedeutsam. In der Forschung wurden bereits verschiedene sprachliche Veränderungen in MINT-Texten untersucht, die Ergebnisse waren jedoch uneinheitlich oder widersprüchlich. Die Interpretation und Verallgemeinerbarkeit dieser Ergebnisse sind in den Einzelstudien besonders problematisch, da eine große Anzahl unterschiedlicher Ansätze unter der einzelnen Kategorie sprachliche Veränderungen verstanden werden. Darüber hinaus stammten diese Studien aus vielfältigen Forschungsbereichen, etwa aus den Fachdidaktiken, der Linguistik oder der Lernpsychologie, die teils sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die Metaanalyse erzielt hier eine gewisse Vergleichbarkeit und hilft dabei zu verstehen, welche spezifische sprachliche Veränderungen über alle Studien hinweg für etwaige Lerneffekte verantwortlich sind.

Die Methode der Meta-Regression, die von Strohmaier et al. (2023) verwendet wird, erlaubt es, mehrere Studien mit unterschiedlichen sprachlichen Veränderungen in einer gemeinsamen Analyse zu untersuchen. Das statistische Verfahren ermittelt dabei isolierte Effekte aller sprachlichen Veränderungen. Dadurch können die Autoren bestehende Forschung so zusammenzufassen, dass sich allgemeine Aussagen ableiten lassen, die über verschiedene Forschungsdisziplinen hinweg einheitlich interpretiert werden können. 

Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?

Die Offenlegung und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht überwiegend den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards).

Das systematische Vorgehen der Metaanalyse bei der Suche nach relevanten Studien, die Auswahl, Kodierung und statistische Analyse werden weitgehend transparent berichtet. Besonders hervorzuheben ist die Vielzahl untersuchter relevanter Moderatoren und die Verwendung eines differenzierten Metaregressionsmodells, welches die Über- oder Unterschätzung der Effekte verhindert. 

Weitere Informationen zur methodischen Beurteilung finden Sie in unserem Rating Sheet [1]

[1]Die methodische Beurteilung der Metaanalyse wurde ausschließlich von Autoren des CHU durchgeführt, um die Objektivität der Bewertung zu gewährleisten.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Die Arbeit mit Texten gehört in den MINT-Fächern zum Unterrichtsalltag. Die Frage, ob durch eine sprachliche Veränderung solcher Texte ein höherer Lernerfolg erreicht werden kann, ist daher für die Unterrichtspraxis hochrelevant. Aus der Metaanalyse lassen sich folgende Schlussfolgerungen für die Praxis ableiten:

Insgesamt zeigt die Metaanalyse, dass sprachliche Veränderungen einen eher geringen Gesamteffekt haben. Somit müssen bereits vorhandene Texte aus Schulbüchern, die bereits ein angemessenes Sprachniveau haben, in der Regel nicht aufwendig überarbeitet werden. 

Wenn sprachliche Veränderungen aber Wirkung zeigen, hängt das oft mit dem Lerninhalt zusammen. Dieser sollte von Lehrkräften daher immer beachtet werden. Zusätzliche Erklärungen zu schwierigen Konzepten oder eine klare Gliederung durch Überschriften können beispielsweise das Verständnis der SchülerInnen fördern. Auch eine Kombination solcher Veränderung mit weiteren Methoden, wie zum Beispiel die SchülerInnen selbst eine Gliederung erstellen zu lassen, kann wirksam sein. Die Texte lediglich oberflächlich zu bearbeiten, zum Beispiel durch kürzere Wörter oder Sätze, erscheint jedoch den Ergebnissen der Metaanalyse zufolge als weniger sinnvoll. Zuletzt zeigt die Metaanalyse klar auf, dass gerade SchülerInnen mit geringerem fachlichem Vorwissen von sprachlichen Veränderungen profitieren können. Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn sie zeigt, dass anspruchsvolle Texte die Leistungsunterschiede in der Klasse vergrößern können. Wenn Lehrkräfte sich jedoch gezielt auf die Erhöhung sprachliche Klarheit und Tiefe in ihren Texten konzentrieren, profitieren davon alle SchülerInnen – besonders in leistungsheterogenen Gruppen

Studienbeispiel

In der Studie von Boscolo und Mason (2003) wurde die Wirksamkeit eines Textes über den Treibhauseffekt mit unterschiedlichen sprachlichen Veränderungen mit einem Originaltext verglichen. Dafür wurde der Lernerfolg von 167 SchülerInnen der 10. und 11. Klasse einer italienischen Schule untersucht. In einer Version erhöhte die lokale Kohäsion des Texts durch Wortwiederholungen und explizite Verknüpfungen einzelner Sätze, eine andere Version schärfte zusätzlich die globale Klarheit und Tiefe durch die Verwendung von Überschriften und Kurzzusammenfassungen. Die Lernenden wurden nach fachlichen Vorwissen und Interesse eingeteilt und lernten mit jeweils einem der Texte. Der Lernerfolg wurde mit Aufgaben zu Reproduktion, Anwendung und Transfer getestet.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Gruppe mit erhöhter globaler Klarheit und Tiefe im Text in einer Mehrzahl der Aufgaben den höchsten Lernerfolg erreichte, während lokale Kohäsion nur vereinzelt zu höherem Lernerfolg führte. Lernende mit weniger fachlichem Vorwissen profitierten tendenziell mehr von sprachlichen Veränderungen, aber der Effekt war in dieser Studie statistisch nicht signifikant

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