Durch Schreiben lernen: Wie wirksam ist Schreiben als Lernaktivität in verschiedenen Unterrichtsfächern?

Die Lehr-Lernforschung nimmt an, dass SchülerInnen Lerninhalte besser durchdringen und verstehen, wenn sie über diese Inhalte schreiben. Solche Schreibaktivitäten mit dem klaren Ziel der Lernförderung können Lehrkräfte mit geringem Aufwand und auf viele verschiedene Arten in den Unterricht integrieren. Ob Schreibaktivitäten zur Lernförderung in der Konsequenz tatsächlich zu einem tieferen Verständnis von Lerninhalten führen, untersuchen Graham und KollegInnen (2020) in ihrer aktuellen Metaanalyse »The effects of writing on learning in science, social studies and mathematics«. Sie kommen zu einem eindeutigen Ergebnis.

Metaanalyse im Überblick

Fokus der Studie: Schreibaktivitäten zur Lernförderung im Unterricht

Zielgruppe: SchülerInnen der Primar- und Sekundarstufe

Durchschnittliche Effektstärke: Positiver Gesamteffekt von g = 0.3 zugunsten von Unterricht mit integrierten Schreibaktivitäten zur Lernförderung

Weitere Befunde: Der Befund ist über unterschiedliche Schulfächer, Jahrgangsstufen und Einsatzformen hinweg stabil

Einleitung

Schreiben ist eine universelle Kulturtechnik. Im Schulkontext kann Schreiben beispielsweise dazu eingesetzt werden, um das Lernen von Fachinhalten zu fördern. Aus lerntheoretischer Sicht spricht vieles dafür, dass das Schreiben über Lerninhalte (engl: writing-to-learn) dazu beiträgt, Wissen zu stärken, zu erweitern oder zu vertiefen. So setzt die Notwendigkeit, Inhalte schriftlich zu formulieren, verschiedene kognitive Prozesse in Gang, die vorhandenes Wissen aktivieren und zu einer besseren Verarbeitung und Speicherung der Lerninhalte beitragen.

Lehrkräften steht eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten zur Verfügung, Schreibaktivitäten in den Unterricht zu integrieren. Diese reichen vom Erstellen einfacher Notizen bis hin zu komplexen Argumentationen. In der Metaanalyse von Graham und Kollegen wird eine aktuelle und differenzierte Untersuchung der Wirksamkeit von Schreiben zur Lernförderung für den Unterricht vorgenommen.

Worum geht es in dieser Studie?

In dieser Metaanalyse untersuchen die AutorInnen, ob Schreibaktivitäten zur Lernförderung das Lernen von SchülerInnen in unterschiedlichen Fächern effektiv fördern. SchülerInnen erhielten in den berücksichtigten Studien ganz unterschiedliche Schreibaufträge. Die Schülerinnen sollten sich zum Beispiel kurze Notizen machen, Informationen zusammenfassen, Abläufe beschreiben, Sachverhalte erklären, oder bei komplexen Sachverhalten schriftliche Argumentationen entwickeln. Allen Schreibaktivitäten war gemeinsam, dass sie mit dem Ziel aufgetragen wurden, das Lernen zu fördern. Auch sollten die SchülerInnen digital oder per Hand Texte schreiben und nicht etwa Diagramme erstellen oder Aufgaben rechnen.

Da unterschiedliche Schreibaktivitäten – etwa das Zusammenfassen von Inhalten oder der Vergleich von Inhalten – unterschiedliche Lernprozesse anstoßen, nehmen die AutorInnen an, dass sich diese Unterschiede auch in den Lernergebnissen niederschlagen. Sie argumentieren außerdem, dass die Wirksamkeit von Schreiben zur Lernförderung von zahlreichen weiteren Faktoren abhängen könnte. Dabei testen sie in mehreren Moderatoranalysen, ob sich die Wirksamkeit je nach Schulfach, Alter, Art der Schreibaktivität oder je nachdem, wie der Lernerfolg gemessen wurde, unterscheidet. Die AutorInnen achten ferner auf die Qualität der eingehenden Studien – z.B. wurden nur Studien ausgewählt, in denen wissenschaftlich fundierte Leistungstestverfahren zum Einsatz kamen und keine Schulnoten – und untersuchen auch hier, ob Qualitätsunterschiede mit Unterschieden in den Ergebnissen einhergehen.

Ihre Suche für den Zeitraum von 1998 bis 2017 ergab 56 experimentelle und quasi-experimentelle Studien mit insgesamt 6.235 SchülerInnen. In den meisten Studien wurde die Wirksamkeit auf der Basis eines Vergleichs der Lernleistung von SchülerInnen ermittelt, die entweder mit oder ohne Schreiben gelernt hatten (73 %). Wenige Studien verglichen SchülerInnen mit mehr vs. weniger Schreibaktivitäten (27 %; siehe Primärstudienbeispiel). Auffällig ist, dass die meisten Studien aus den naturwissenschaftlichen Fächern (47 %) und der Mathematik (38 %) stammen und weniger aus den sozialwissenschaftlichen Fächern (15 %). 65 % der Studien beinhalten Ergebnisse aus der Sekundarstufe und 35 % aus der Primarstufe.

Was findet diese Studie heraus?

Über alle Studien hinweg ergibt sich in der Metaanalyse ein signifikanter Gesamteffekt von g = 0.30 (Konfidenzintervall g = 0.20 bis g = 0.41) zugunsten der Lernleistung von SchülerInnen, die mit Schreibaktivitäten im Unterricht lernten. Die Testergebnisse zeigen bessere Leistungen in der Wiedergabe von Wissen, im Verständnis und in der Anwendung von Inhalten. In nahezu allen untersuchten Kategorien – unterschiedliche Schulfächer, Jahrgangstufen, oder unterschiedliche Schreibaktivitäten – konnten SchülerInnen signifikant bessere Lernresultate erzielen, wenn Schreibaktivitäten Teil des Unterrichts waren.

Die Metaanalyse dokumentiert dabei die Vielfalt der Möglichkeiten, unterschiedliche Schreibaktivitäten mit unterschiedlichen Zielsetzungen auf unterschiedliche Weise in den Unterricht zu integrieren. Zwar untersuchen die AutorInnen eine Vielzahl von Unterschieden in den Studien auf Ihren Einfluss auf die Effektstärken, können aber in Moderatoranalysen keine statistisch bedeutsamen Einflüsse nachweisen. Einen Überblick über alle untersuchten Moderatorvariablen finden Sie in der Übersicht über alle Einzelbefunde.

Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?

Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):

Wie substanziell sind die Effekte?

Die durchschnittliche Effektstärke liegt in dieser Metaanalyse bei g = 0.3. Diese Effektstärke bedeutet, dass mehr als 61 % der Lernenden mit Schreibaktivitäten besser abschneiden als der Durchschnitt der Lernenden aus den Kontrollgruppen, die keine oder weniger Schreibaktivitäten absolvierten. Dieser positive Effekt ist über viele Situationen und Bedingungen stabil. Selbst wenn in Einzelstudien Effekte zum Teil deutlich über oder unter diesem Durchschnittswert liegen, so ist insgesamt davon auszugehen, dass sich Schreiben unter den meisten Umständen positiv auf die Lernleistung auswirkt.
Zur Substanz der Effekte trägt außerdem bei, dass die AutorInnen Studien mit weniger zuverlässigen Studiendesigns bei der Selektion ausgeschlossen haben. Dazu zählten Studien, in denen nicht gewährleistet war, dass die Eingangswerte der getesteten SchülerInnen und die Lerndauer in Experimental- und Kontrollgruppe ähnlich waren. Außerdem wurden Studien ausgeschlossen, wenn zur Leistungsmessung Schulnoten und keine wissenschaftlichen Testverfahren verwendet wurden. Aus der bisherigen Forschung ist bekannt (Cheung & Slavin, 2016), dass durch Einschluss solcher Studien Effektstärken tendenziell überschätzt werden.

Erfahren Sie mehr über die Einschätzung von Effektstärken in unserem Handout.

Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?

Die AutorInnen schätzen die Differenziertheit der berichteten Effekte anhand der drei Bereiche Schulfächer, Altersstufen und der untersuchten Erfolgskriterien ein. Die Metaanalyse liefert differenzierte Werte zu unterschiedlichen Fachbereichen (Naturwissenschaften, Mathematik, Sozialwissenschaften) und unterschiedlichen Altersstufen (Primarstufe, Sekundarstufe). Zu den untersuchten Erfolgskriterien gehören die Erinnerungsleistung, das Verständnis, und das Anwenden von Inhalten. Die Unterschiede in allen drei Bereichen Schulfächer, Altersstufen und Erfolgskriterien sind jedoch nicht statistisch bedeutsam. Dieser Befund stützt die Annahme, dass sich Schreibaktivitäten zur Lernförderung innerhalb dieser Bereiche ähnlich positiv auswirken.

Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?

Schreibaktivitäten können auf vielfältige Art und Weise zur Lernförderung umgesetzt und in den Fachunterricht integriert werden. Die zahlreichen und unterschiedlichen Moderatoranalysen zeigen diese Flexibilität (siehe Gesamttabelle Befunde). Die Moderatoranalysen – in denen die AutorInnen die wichtigsten Einflussgrößen berücksichtigen – zeigen auch, dass hier keine statistisch bedeutsamen Unterschiede festgestellt werden konnten. Dies spricht dafür, dass der positive Effekt von Schreibaktivitäten zur Lernförderung gut verallgemeinerbar ist.
Anzahl und Größe der eingehenden Studien beeinflussen die Ergebnisse der Moderatoranalysen entscheidend. Eine umfangreichere Studienlage als bisher gegeben könnte differenzierte Befunde zur Wirksamkeit ermöglichen. In der Tendenz zeigt sich bereits, dass häufigere Schreibaktivitäten zu höheren Effekten führen können als seltener eingesetzte Aktivitäten. Auch Impulse, die SchülerInnen dazu anhalten, metakognitive Strategien einzusetzen, scheinen eine höhere Wirksamkeit zu ermöglichen.

Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?

Die aktuelle Metaanalyse ist wissenschaftlich bedeutsam, da sie eine verlässlichere Einschätzung der Wirksamkeit von Schreiben zur Lernförderung bietet als frühere Metaanalysen (Bangert-Drowns et al., 2014; Graham & Perin, 2007). Sie bezieht mehr Studien ein, achtet auf die Qualität der Studien und geht differenzierter in den Analysen vor. Dadurch liefert sie vertrauenswürdigere Befunde, die sich zudem etwas von vorherigen Metaanalysen unterscheiden: Die Effektstärke von Schreibaktivitäten zur Lernförderung liegt mit g = 0.3 im Durchschnitt über den Befunden von bisherigen Metaanalysen.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist zudem bedeutsam, dass Forschungsdesiderate vor allem im Bereich der sozialwissenschaftlichen Fächer aufgezeigt werden, da hier relativ wenige experimentelle Studien vorhanden sind, obwohl in der Unterrichtsrealität Schreiben hier am häufigsten zum Einsatz kommt.

Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?

Die Transparenz und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards) in hohem Maße. Insbesondere die Bereiche der Studienselektion und Analyse der Befunde sind sehr gut dokumentiert. Im Bereich der Kodierung der Primärstudien sind allerdings genauere Angaben (z.B. zur Kodierung der abhängigen Variablen) erforderlich. Detailliertere Informationen zur methodischen Beurteilung sind dem Rating Sheet zu entnehmen.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Schreiben ist eine weit verbreitete Praxis im Unterricht. Im Einklang mit den Befunden dieser bereits Jahrzehnte bestehenden Forschung weisen die Befunde dieser Metaanalyse insgesamt deutlich darauf hin, dass das Schreiben über Lerninhalte eine effektive Möglichkeit ist, den Lernerfolg von SchülerInnen zu fördern.

Auch wenn Schreiben als Aktivität zur Lernförderung in der Realität häufig in sozialwissenschaftlichen Fächern zum Einsatz kommt, so zeigt die vorliegende Metaanalyse, dass die Wirksamkeit dieser Methode mindestens genauso gut für naturwissenschaftliche und mathematische Fächer untersucht ist. Auch für diese Fächer dokumentiert die Metaanalyse vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Schreibaktivitäten zur Lernförderung können darin bestehen, dass SchülerInnen Informationen zusammenfassen, Sachverhalte darstellen, Zusammenhänge bzw. Unterschiede analysieren und interpretieren oder Argumentationen schriftlich erarbeiten.

Zwar bemühen sich die AutorInnen darüber hinaus, besonders effektive Einsatzmöglichkeiten von Schreibaktivitäten zu identifizieren. Auf der Basis der aktuellen Befundlage können hier jedoch keine konkreteren Empfehlungen daraus abgeleitet werden.

Studienbeispiel

Hand, Hohenshell & Prain (2004) untersuchen in ihrer Studie die Wirksamkeit von innovativen Schreibaufgaben im Biologieunterricht. Dabei wollten sie testen, ob sich zwei Schreibaufgaben (Schulbuchbeitrag und ein Zeitungsartikel) besser auf die Lernleistung auswirken als nur eine Schreibaufgabe (Schulbuchbeitrag).

An der Studie nahmen 73 SchülerInnen der 10. Jahrgangsstufe aus vier Schulklassen teil. Die SchülerInnen wurden anhand ihrer Klassen in zwei Gruppen eingeteilt, die sich in ihren Vorjahresleistungen nicht voneinander unterschieden. Beide Schülergruppen erhielten zunächst die Aufgabe, einen Schulbuchbeitrag (500 Wörter) zu verfassen, in dem sie ein Thema aus der Biotechnologie für jüngere SchülerInnen erläutern sollten. Anschließend erhielt die Experimentalgruppe zusätzlich die Aufgabe, einen kurzen Zeitungsartikel zu schreiben, in dem sie ihre Ideen aus der ersten Aufgabe erweitern und vertiefen sollten. Die Kontrollgruppe absolvierte stattdessen andere typische Lernaktivitäten, wie Abschreiben von der Tafel oder das Bearbeiten von Arbeitsblättern im selben Zeitumfang. Insgesamt waren die SchülerInnen sechs Wochen mit dieser Unterrichtseinheit beschäftigt. In dieser Zeit erhielten beide Gruppen auch Feedback zu den Schreibaktivitäten und konnten dieses einarbeiten.

Um die Effektivität der unterschiedlichen Maßnahmen zu bestimmen, mussten die SchülerInnen drei Tests bestehend aus geschlossenen und offenen Fragen bearbeiten: Der erste Test fand nach dem Erstellen des Schulbuchbeitrags statt, der zweite Test nach dem Verfassen des Zeitungsartikels und der dritte Test acht Wochen später. Während sich nach der ersten Aufgabe (Test 1) keine Unterschiede in den Testleistungen zwischen Experimental- und Kontrollgruppe zeigten, ergaben sich bedeutsame Unterschiede zugunsten der Experimentalgruppe nach Aufgabe 2 (ES = 0.70) und 8 Wochen danach (ES = 1.09) Das Ergebnis zeigt, dass sich das mehrmalige Bearbeiten von innovativen Schreibaufgaben für das naturwissenschaftliche Lernen lohnen kann.

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